Wir mögen in einer aufgeklärten Zeit leben, in der offen über Sexualität gesprochen wird. Trotzdem sind Erektionsstörungen nach wie vor ein Tabuthema, der Großteil der Betroffenen meidet aus Scham den Arztbesuch – auch dann, wenn der Leidensdruck immer größer wird. Dass dies nicht nur gefährlich sein kann, sondern auch nicht nötig ist, bestätigt Dr. Markus Margreiter, Wiener Facharzt für Urologie und Andrologie sowie Autor des Buches „Mann 2020“: „Erektile Dysfunktionen sind ein weitverbreitetes Thema! Ein Großteil der Männer ist im Laufe des Lebens davon betroffen.“ Schätzungsweise 5 bis 30 Prozent der österreichischen Männer leiden unter unterschiedlich schweren Erektionsstörungen, am meisten betroffen sind Männer ab dem 50. Lebensjahr. Was auffällt: Auch immer mehr junge Männer berichten von Frust im Schlafzimmer. Laut einer deutschen Studie aus dem Jahr 2018, an der mehr als 10.000 Männer teilnahmen, weist bereits ein Viertel der 45-Jährigen Symptome einer erektilen Dysfunktion (ED) auf. Eine österreichische Studie, im Auftrag gegeben vom Wiener Krankenhaus SMZ Ost, wiederum berichtet von 20 Prozent der heimischen Männer zwischen 20 und 30 Jahren, die unter milden Formen einer Potenzstörung leiden.
Protest gegen Stress und Leistungsdruck
Dass Mann im Bett nicht immer so kann wie gewünscht, ist normal und nicht per se ein Grund zur Sorge. Von einer erektilen Dysfunktion spricht man erst dann, „wenn es über einen längeren Zeitraum wiederkehrende oder anhaltende Probleme gibt, eine Erektion zu erreichen oder in einem Maße aufrechtzuerhalten, die für eine zufriedenstellende sexuelle Aktivität ausreicht“, erklärt Margreiter. Die Ursachen für eine ED sind unterschiedlich und breit gefächert: Die Fähigkeit, eine Erektion aufzubauen, basiert auf einem komplexen Ablauf im Gehirn. Nerven sind hier genauso beteiligt wie Hormone, Blutgefäße und Muskeln. In den meisten Fällen stehen, anders als bei älteren Betroffenen, bei jungen Männern psychische Ursachen im Vordergrund. „Psychologische Faktoren spielen bei Erektionsstörungen eine große Rolle“, gibt der Experte zu bedenken. „Der Kopf ist das größte Sexualorgan des Menschen. Psyche und Sexualität sind eng miteinander verbunden und können sich gegenseitig bedingen.“ Stress im Berufs- und Privatleben, negative sexuelle Erfahrungen beziehungsweise Traumata, Angst- und Schamgefühle, Frustrationen, Sorgen und natürlich eine ausgewachsene Depression wirken sich negativ auf die Libido aus. Stellt sich der Penis tot, kann ein Protest gegen Stress, Leistungsdruck oder falsche Erwartungshaltungen dahinterstecken. Letztgenannte nehmen unter jungen Männern immer mehr zu, was zum einen mit der Digitalisierung der Sexualität und dem damit vermehrten Konsum von Pornografie zu tun hat: „Die Realität hält nicht, was uns die Virtualität verspricht“, gibt Margreiter zu bedenken. Viele junge Betroffene berichten von einer Porno-Abhängigkeit, die zu einer permanenten Überstimulation führt, ohne die eine (ausreichende) Erregung nicht mehr möglich ist. Aber auch die von der Gesellschaft geforderte Rolle des Mannes kann besonders junge Männer überfordern: Einerseits sollen Männer hart und widerstandsfähig, zugleich aber auch sensibel und lieb sein. „Die Forderungen von Maskulinität sind widersprüchlich und inkonsequent“, kritisiert Margreiter.
Gesundheits-Wünschelrute
Natürlich dürfen aber auch bei jungen Männern mögliche organische Auslöser für eine ED nicht außer Acht gelassen werden. „Wir sehen eine stetige Zunahme krankheitsfördernder Lebensgewohnheiten, wie beispielsweise Übergewicht, Bewegungsmangel, metabolisches Syndrom, Bluthochdruck, zu hohe Cholesterinwerte und Diabetes“, so der Urologe. Aber auch der (übermäßige) Konsum von Alkohol, Tabak und Drogen kann Potenzprobleme auslösen. „Dies alles führt zu chronischen Erkrankungen und Veränderungen im Herz-Kreislauf-System und wirkt sich somit negativ auf die männlichen Sexualfunktionen aus. Die meisten Männer sind sich all dieser Risikofaktoren leider nicht bewusst.“ Ebenso wenig bewusst ist den meisten Betroffenen, dass „sexuelle Funktionsstörungen auch Vorboten anderer Erkrankungen sein können“, warnt Margreiter. Sprich: Umgekehrt kann eine ED ein Warnsignal für Arteriosklerose, Diabetes, Nervenschäden, Schlaganfall, Herzinfarkt oder Hormonstörungen sein. Arteriosklerose zum Beispiel ist bereits im Anfangsstadium am Schwellkörper zu erkennen. Nicht überraschend also, dass viele Internisten und Urologen den Penis als „Gesundheits-Wünschelrute“ bezeichnen. Klingt lustig, ist aber umso ernster, warnt Margreiter: „Bis zu 20 Prozent aller Männer mit einer ausgeprägten ED entwickeln innerhalb weniger Jahre schwere Herz-Kreislauf-Probleme, wenn sie keine medizinische Hilfe in Anspruch nehmen!“
Potenzmittel als Therapie-Grundlage
Schon allein deshalb gilt: „Je früher eine ED behandelt wird, desto besser sind die Behandlungsmöglichkeiten!“ Neben einer ausführlichen Laborkontrolle sollte eine Doppler-Duplex-Sonografie fixer Bestandteil des Diagnoseverfahrens sein: Diese Ultraschalluntersuchung schließt nicht nur organische Ursachen für Potenzstörungen aus, sondern sie gibt auch Auskunft darüber, ob der Patient ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall aufweist. „Gegebenenfalls werden noch weitere spezielle Untersuchungen verordnet.“ Die Behandlung richtet sich nach der zugrunde liegenden Ursache, parallel dazu sind unterschiedliche Behandlungsansätze möglich. Besonders häufig werden potenzfördernde Medikamente angewandt, so Margreiter: „Die PDE-5-Hemmer haben die Therapie der erektilen Dysfunktion revolutioniert und bilden auch weiterhin den Grundstein der Behandlung.“ Das Medikament sollte circa 90 Minuten vor dem geplanten Geschlechtsverkehr eingenommen werden. Aufgrund von möglichen Nebenwirkungen und unterschiedlicher Wirkungsdauer darf eine medikamentöse Behandlung niemals ohne Arzt erfolgen. Von im Internet beworbenen Potenzmitteln rät Margreiter tunlichst ab: „Es könnte sich um Fälschungen und nicht geprüfte Präparate handeln!“
Neue Behandlungsansätze
Möglich sind auch Injektionen direkt in den Schwellkörper, die anfangs vom Arzt, dann vom Betroffenen selbst verabreicht werden: Die Injektionen ermöglichen eine Erektion innerhalb von zehn bis zwanzig Minuten, unabhängig vom eigentlichen Erregungszustand. In sehr seltenen Fällen ist eine Penisprothese notwendig. Ein neuer Ansatz in der Behandlung, erklärt Margreiter, ist die Stoßwellentherapie, die auf eine Regeneration des Schwellkörpergewebes abzielt. „Bei schweren Gefäßveränderungen wiederum kann mittels einer Stent-Behandlung der Blutfluss wiederhergestellt werden.“ Thema der aktuellen Forschung ist der Einsatz von Stammzellen, so der Experte: „Dieser wird möglicherweise in Zukunft die ED-Therapie ergänzen.“